Das Alluvium als Jazzfamilie
Alles begann mit einem Schulausflug. 1958 sollten Oldenburger Schüler das älteste Gebäude der Stadt finden. Auch ohne Google war es nicht schwer zu finden: es ist das Degodehaus im Zentrum der Stadt. Bei der Besichtigung gefielen einigen Schülern die atmosphärischen Kellerräume, die sich nach einer Karriere als Jazz-Bühne sehnten.
Denn Jazz war zu dieser Zeit die Kellermusik der Großstädte, dunkel, verraucht und abgeschlossen. Der Eigentümer hatte erstaunlicherweise nichts dagegen, also gründeten die Schüler den Verein mit dem Baujahr des Hauses im Namen: Jazzclub 1502 e.V. Der Club stand unter der Aufsicht des Jugendamtes, Betrieb war nur an Samstagen von 20 bis 23 Uhr, Alkoholausschank war untersagt.
Jazz zu dieser Zeit klang anders als heute, aber auch anders als die Tanzmusik der Zeit. Genau das trieb viele junge Leute in den Degodehaus-Keller, zu Konzerten der Flower Street Jazzband und der Stau Stompers – auch die Namen der Bands waren damals andere …
Die 60er
1960 schloss die Stadt die Spielstätte aus feuerpolizeilichen Gründen, aus vorgegebenen Gründen, wie einige Eingeweihte meinten: in Wirklichkeit gehe das von den Gastronomen der Innenstadt aus, die besorgt der Abwanderung ihres jugendlichen Publikums zusahen.
Die neue Heimat des Clubs wurde nach einigen Suchen in die Zeughausstraße 73 um, damals Kaserne, heute Berufsschule. Für die neue Innenausstattung und das Club Emblem Lord Jazzewitz sorgt der Künstler Klaus Beilstein, der dem Club in mehrfacher Hinsicht verbunden war.
Die 70er
Der Aufstieg vom Keller ins Parterre reflektiert sich im neuen Namen nieder, als Aufstieg aus der erdgeschichtlichen Vergangenheit des Pleistozäns in die Gegenwart des Holozän oder – wie es damals noch hieß – des Alluvium. Etwas steinzeitlich war die Raumausstattung mit Kanonenofen und ohne Belüftung, aber die Jugend der Zeit bevorzugte eng, dunkel und stickig, der Club mit dem neuen Namen Jazzclub Alluvium 1502 war sehr angesagt!
Doch selbst donnerstags, wenn Bands nur probten, war der Laden voll. Wer Eintritt wollte, musste in einer kleinen Prüfung Jazz-Fragen beantworten, besser allemal als Gesichtskontrollen.
Das Publikum wurde exklusiver, die Künstler auch: mit Carla Bley, dem Dave Pike Set, Michael Sagmeister und Peter Brötzmann kamen die Helden der späten Sechziger und frühen Siebziger nach Oldenburg. Probleme begannen allerdings bereits früher mit der neumodischen Beatwelle. Rock und Beat verdrängten den Jazz als die Musik der rebellischen Jugend, das Ausbleiben der Zielgruppe führe dazu, dass donnerstags Rockkonzerte veranstaltet wurden, um sich den Jazz am Samstag leisten zu können.
In dieser Zeit lösten jüngere Leute die erste Generation der Organisatoren im Club ab, damit änderte sich auch die fachliche Zusammensetzung: aktive Musiker wurden immer seltener im Clubmanagement. Weil aber alle ehrenamtlich arbeiten, kann der Club noch immer große Konzerte zu kleinen Preisen anbieten.
Die 80er
Nach den flauen Achtzigern bekommt der Club einen neue Chance durch die Kollaboration mit der nun aktuellen Jugendkultur: Die Disco-Veranstaltungen des Alhambras, dessen Gebäude durch einen Brand zerstört wurde, sorgten für das nötige Finanzpolster und die Bekanntheit.
In diese Zeit fallen Konzerte von Pete York, Luther Allison, James Blood Ulmer und der Kölner Saxophon-Mafia. Aber auch regionale Musiker starten im Alluvium ihre Karrieren: Pianist Klaus Ignazek, Vibraphonist Florian Poser, Bassist Ede Brumund-Rüther und der ebenfalls Piano spielende Chris Jarret gehören dazu.
Gemeinsam mit der Stadt organisiert der Club die Just Jazz-Reihe und kann so Acts wie Oregon, John Abercrombie, Herbie Hancock, Charles Lloyd, Taj Mahal oder Snowy White nach Oldenburg holen.
Die 90er
Mit dem nächsten Generationswechsel in den Neunzigern öffnet sich der Club für neue Einflüsse. Experimentelle Band wie die Franck Band, Der Rote Bereich, Embryo, Wolfgang Huschka und Susan Weinert spielen im Club, neue Veranstaltungstypen wie die Nacht der Weltmusik, Industrial-Konzerte, Slam Poetry, NewForms und Advanced Electronics Parties halten Einzug, eine eigen Jazz-Rock-Session wird eingerichtet, sogar Punk- und Independent-Bands treten im Alluvium auf. Und Grenzgänger wie Lisa Bassenge, tok tok tok, Das Dritte Ohr, Quadro Nuevo und Be Mine Or Run gehören nun zum Repertoire.
Die 2000er …
Der Schritt ins Nomadendasein folgt, als der Club im Jahr 2003 die Räume in der Zeughausstraße verlassen muss. Von nun an waren die Veranstalter immer auf der Suche nach passenden Veranstaltungsräumen wie dem Cadillac, Alluvium Woanders nannte sich das Konzept. Diese Ortswechsel haben aber auch massive Auswirkungen, das Programm verkleinert sich und die Mitglieder schwinden, ein paar Getreue erledigen die gesamte Arbeit.
… und jetzt
Aber auch diese Phase endete, als der Club im Jahr 2012 von der Stadt in der aktuellen Wirkungsstätte, dem Wilhelm13, untergebracht wurde. Nun gibt es wieder einen festen Veranstaltungsort, mehr arbeitende Mitglieder und ein einfaches, aber gutes Konzept: Gute Jazz aus der gesamten Republik und dem angrenzenden Europa wird geboten, junge neue Bands aus der Umgebung und bekannte Künstler bevölkern die Bühne. Die Jazzszene in Deutschland ist vielfältiger geworden und gewachsen, und das in Oldenburg zu zeigen ist wichtiger geworden als die Kooperation mit den jeweils modernen Popkulturen.